Populärwissenschaftliche Literatur


Wissenschaft auf den Punkt gebracht


An dieser Stelle veröffentliche ich regelmäßig Rezensionen populärwissenschaftlicher Bücher, hauptsächlich aus meinem Themenspektrum, zum Teil aber auch darüber hinaus.


Aktuelle Rezension Rezensionen 2010

Die RNA als Grundbaustein des Lebens
Rezensionen 2011

Renée Schroeder (mit Ursel Nendzig): Die Henne und das Ei. Auf der Suche nach dem Ursprung des Lebens


Eines vorweg: Dieses Buch ist anders als die meisten populärwissenschaftlichen Bücher. Das liegt vor allem daran, dass Renée Schroeder sich nicht auf die Vermittlung von Faktenwissen beschränkt, sondern viele persönliche Ansichten und Einsichten in den Text einfließen lässt, bis hin zu ihrer eigenen Lebensphilosophie. Am Ende des Buches stellt sich ein Gefühl ein, als habe man auf einer langweiligen Party Renée Schroeder getroffen und sich zwei Stunden lang mit ihr über Gott und die Welt unterhalten − und fast nebenher erfahren, weshalb viel dafür spricht, dass mit der Ribonukleinsäure (RNA) das Leben auf der Erde begonnen hat.

Renée Schroeder ist nicht irgendeine Wissenschaftlerin. Sie leitet das Department für Biochemie und Zellbiologie an den Max F. Perutz Laboratories der Universität Wien und war von 2001 bis 2005 Mitglied der Bioethik-Kommission der österreichischen Regierung. 2002 war sie österreichische Wissenschaftlerin des Jahres, ein Jahr später wurde sie als eine der ersten Frauen Wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Man kann sie also durchaus als renommiert bezeichnen.

Seit sie für ihre Dissertation RNA aus Zellen isolierte, damals noch eine Heldentat, hat sich Renée Schroeder der RNA-Welt verschrieben. Die RNA besitzt ein Sauerstoffatom mehr als die Desoxiribonukleinsäure (DNA), die den genetischen Code höherer Lebewesen einschließlich des Menschen trägt. Das macht die RNA instabiler, aber chemisch aktiver. Denn die RNA kann nicht nur genetische Informationen speichern, sondern auch Stoffwechselvorgänge katalysieren (steuern) und ist damit das zentrale Molekül für zwei entscheidende Bedingungen für Leben. In höheren Lebewesen katalysieren Proteine (z.B. in Form von Enzymen) den Stoffwechsel, es herrscht quasi Arbeitsteilung mit der DNA. Doch weil die RNA beides ist, Informationsträger und Katalysator, ist sie für Schroeder das HennEi, der Stoff, der am Anfang des Lebens stand.

Das Buch geht auch auf weitere Funktionen der RNA ein, als Überträger der Erbinformation von der DNA zu den Proteinfabriken, als Thermometer (sie falten sich je nach Temperatur unterschiedlich), als Schalter für die Aktivierung von Genen und einiges mehr. Darüber hinaus befasst sich Schroeder mit gesellschaftlichen und philosophischen Fragen, die jedoch stets im Zusammenhang mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit stehen. Fragen wie Was ist eigentlich Leben? oder Sind Intelligenz und Verhalten genetisch bedingt oder hängen sie von der Sozialisation ab? werden ebenso erörtert wie die Bedeutung von Bildung oder die Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Selbst wenn man als Leser nicht immer konform geht mit Schroeders Haltungen und Ansichten, so lohnen doch die meisten ihrer Themen einer gedanklichen Auseinandersetzung.

Das Buch ist großenteils in einem lockeren Plauderton gehalten, was das Lesen sehr angenehm macht. Ein umfangreiches Glossar bietet zudem kompakte Informationen für Leser, die sich bisher wenig mit Biochemie befasst haben. Wer lediglich an den biochemischen Erkenntnissen über die RNA-Welt interessiert ist, sollte nur die Kapitel 3 bis 9 lesen, denn in den übrigen sechs Kapiteln bringt die Autorin häufig ihre Persönlichkeit ein. Wer jedoch der Auffassung ist, dass Wissenschaft von Menschen gemacht wird und daher auch Persönliches in der Vermittlung von Wissenschaft eine Rolle spielen sollte, kann das ganze Buch mit Gewinn lesen.

Rezension: Stefan Parsch


Bibliografische Angaben:
Oekom Verlag, München
Taschenbuch, 80 Seiten
Erscheinungsdatum: 7. Juni 2011
Preis: 12,95 Euro
ISBN: 978-3-865-81277-3